Am vergangenen Samstag veröffentlichte die Verdener-Aller-Zeitung ein Interview mit Arne Jacobs, dem Ratsvorsitzenden des Kirchlintelner Gemeinderates. Seit der Kommunalwahl 2011 ist fast ein Jahr vergangen und einige Entscheidungen sind getroffen worden. Für die VAZ der richtige Zeitpunkt, um mit dem jüngsten Ratsmitglied auf das erste Jahr Kommunalpolitik zurückzublicken:
Herr Jacobs, der neue Rat der Gemeinde Kirchlinteln feiert bald seinen ersten Geburtstag. Sie haben 2011 zum ersten Mal kandidiert, bekamen einen Sitz – und sind auch gleich Ratsvorsitzender geworden. Ein Amt, das sonst eher dem Dienstältesten oder zumindest einem sehr erfahrenen Politiker vorbehalten ist. Wie kam es dazu und wie kommen Sie mit dieser Position zurecht? Haben Sie sich auf den Job vorbereitet?,
Traditionell schlägt die Partei mit den meisten Sitzen einen Kandidaten vor. Da ich die meisten Kandidatenstimmen innerhalb der CDU-Fraktion erreichen konnte, hat mir die Fraktion das Amt des Ratsvorsitzenden angetragen. Ich gebe zu, dass ich unsicher war, ob ich dieser Aufgabe als neues und junges Ratsmitglied gewachsen bin. Vorher habe ich nie einer Ratssitzung beigewohnt und dann solch ein Sitzung leiten, puh. Geholfen hat mir neben dem großen Vertrauen aus der CDU Fraktion, dass ich auch mit den Stimmen der SPD und des Vertreters des Bürgerbundes zum Ratsvorsitzenden gewählt wurde. Vor der ersten Ratssitzung habe ich mich mit Bürgermeister Wolfgang Rodewald getroffen und wir sind die erste Sitzung komplett durchgegangen. Dieses Treffen behalten wir seither vor jeder Ratssitzung bei.
Nach der Wahl gab es seitens der Grünen Zweifel am Ergebnis. Wissen Sie, wie der aktuelle Sachstand ist?
Die Zweifel haben die ersten Wochen der Ratsarbeit intensiv begleitet. Der Sachstand ist nach wie vor, dass Klage eingereicht wurde. Diese Klage wird nach intensiver Prüfung verhandelt werden. In der Verhandlung werde ich den Gemeinderat vertreten. Wann es so weit ist, kann ich nicht sagen. Scheinbar kann sich so etwas lange, auch über Jahre, hinziehen. Ich persönlich habe keine Zweifel am Wahlergebnis und der korrekten Arbeit der ehrenamtlichen Wahlhelfer. Ich bin froh, dass diese besondere Situation die inhaltliche Ratsarbeit in keiner Weise beeinflusst.
Sie können natürlich keine Vergleiche zu den vorigen Ratsperioden ziehen. Also mal ganz vorbehaltlos: Wie läuft die Zusammenarbeit in diesem Gremium?
Überraschend konstruktiv! Die Rede von „Kirchlintler Verhältnissen“, wo die meisten Entscheidungen am Ende im Konsens getroffen werden hat sich in den ersten Monaten absolut bestätigt. Sicherlich könnte die Mehrheitsfraktion sämtliche Entscheidungen alleine durchboxen, tut es nach guter Sitte in der Regel aber nicht. Um die Sache wird zum Teil intensiv gestritten, was aus meiner Sicht in einer Demokratie auch unerlässlich ist. Viele Entscheidungen wollen vorher abgewogen werden, denn es gibt nicht die eine richtige Sichtweise auf die Dinge. Klar dürfen Diskussionen auch nicht ins Uferlose laufen, dafür hat nicht zuletzt der Ratsvorsitzende als Sitzungsleiter zu sorgen.
Und wie ist die Zusammenarbeit mit der Verwaltung?
Die Zusammenarbeit mit der Verwaltung läuft gut. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir im permanenten Austausch sind um unsere Zusammenarbeit weiter zu verbessern und noch transparenter zu gestalten. Dieses gilt insbesondere für die Finanzen, was aber nicht einer intransparenten Verwaltung sondern vielmehr dem Haushaltssystem der Doppik zuzuschreiben ist. Hier gilt es eine bestmögliche Balance zwischen Transparenz für die Ratsmitglieder und Verwaltungsaufwand im Rathaus zu finden. Dieses ist ein permanenter Prozess.
Wie ist die Stimmung angesichts der Haushaltssituation? Kommt da manchmal Frust auf?
Die Haushaltslage ist angespannt und der Gestaltungsspielraum gering. Darin liegt aber auch die spannende Herausforderung kreative Lösungsansätze zu finden und mit dem Geld auszukommen, das verfügbar ist. Hier würde ich mir im Gemeinderat mehr Sparwillen wünschen. Jede Idee muss solide finanziert oder gegebenenfalls auf eine andere verzichtet werden. Dabei kann nicht angehen, dass der Nachbar das einsparen soll, was ich mehr ausgeben möchte. Soll heißen, dass ein Tausch der Prioritäten erst innerhalb einer Ausschussverantwortlichkeit geschehen sollte. Finanzpolitik nach dem Motto „sparen ja aber bitte nicht in meinem Budget“ ist Unfug.
Hätten Sie eine Idee, wie man den finanziellen Handlungsspielraum der Gemeinde vergrößern könnte?
Das ist einfache Mathematik. Entweder erhöhen wir die Einnahmen durch Steuern und Abgaben oder wir reduzieren die Ausgaben. Leider beides Ansätze, die nicht zu Jubelstürmen führen. So wünschenswert auch manche Projekte sind, sollten wir uns nur leisten was nötig ist. Beispielsweise „leisten“ wir uns drei Erzieherinnen pro Krippengruppe mit 15 Kindern, wo andere Kommunen sich mit zwei Erzieherinnen plus eine Ergänzungskraft begnügen. Aus meiner Sich müssen wir auf dieses mehr an Leistung verzichten oder dafür die Gebühren erhöhen. Von beidem das Beste können wir uns leider nicht leisten, obwohl alle Verantwortungsträger das ganz bestimmt gerne würden.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Themen, denen sich der Rat in dieser Legislaturperiode zu stellen hat?
Da gibt es viele Themen und glücklicherweise gibt es bei jedem Ratsmitglied unterschiedliche Schwerpunkte. Einer alleine kann nur schwerlich permanent alle Themen im erforderlichen Umfang erfassen. Für mich ist wichtig die Finanzen in den Griff bekommen – hierzu erwarten wir ein Konsolidierungskonzept der Verwaltung als Diskussionsgrundlage. Zudem gilt es alles zu unternehmen, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit unserer Gemeinde Kirchlinteln zu erhalten. Hiermit sind Infrastruktur, Bildungsangebote, Attraktivität für junge Familien, die Ansiedlung von Gewerbe und Arbeitsplätzen, sowie die Balance zwischen Natur- und Erholungsgebieten und landwirtschaftlicher Nutzfläche gemeint. Bei allen wichtigen Themen gilt übergreifend, unsere Entscheidungen noch besser zu erklären. Nur so können wir auf Verständnis hoffen, auch mal unbequeme Entscheidungen zu treffen.
Was sind überhaupt die größten Herausforderungen, vor denen die Politik heutzutage im ländlichen Raum steht?
Der ländliche Raum steht vor besonderen Herausforderungen. Der Trend hin zur Stadt ist ungebrochen und der demographische Wandel macht vor den Dörfern nicht halt. Wir müssen aufhören, das als Bedrohung zu verstehen, sondern viel mehr als Chance. Ich finde das Sprichwort „die Jungen können schnell laufen und die Alten kennen die Abkürzungen“ in diesem Zusammenhang richtig. Wir müssen die Leistungsfähigkeit der Generationen bündeln und als Politik den bestmöglichen Rahmen vorgeben. Um das zu veranschaulichen will ich mich auf zwei Beispiel beschränken: wir brauchen schnelle Internetverbindungen, damit Selbständige und Berufstätige keinen Standortnachteil haben und von zu Hause aus arbeiten können. Andererseits die kostbaren Güter der älteren Generation, nämlich Zeit und Lebenserfahrung, nutzbar machen und kreative Lösungen für die Kinderbetreuung entwickeln.
Welche Themen interessieren Sie selbst in der Gemeinde besonders? Bei welchen Themen hören Sie ganz genau hin? Wo wollen Sie unbedingt mitmischen?
Ganz allgemein ist das Thema „Stärkung von Bürgerverantwortung“ ganz oben auf meiner persönlichen Themenliste. Auch wenn das Thema im ersten Moment schwammig klingen mag, so bin ich der festen Überzeugung, dass die Übernahme von Aufgaben durch Ehrenamtliche für das Gemeinwohl unverzichtbar ist. Hier sind wir in der Gemeinde Kirchlinteln toll aufgestellt, was wir oftmals zu wenig anerkennen und würdigen. Freiwillige Feuerwehren, das aktive Vereinsleben, die lebendigen Kirchengemeinden, Nachbarschaftshilfen, Dorfläden und viele Organisationen und Institutionen mehr, die alle nur von ihren Vorständen und Mitgliedern getragen werden. Das Ehrenamt leistet zudem einen ganz wichtigen Beitrag für unser Dorfleben und ist somit die Stütze für unsere Gemeinschaft. Hier muss der Rahmen stimmen, bürokratische Hürden abgebaut werden und Motivation zur Übernahme durch ein Ehrenamt gegeben werden. Jeder Deutsche schaut im Durchschnitt knapp 4 Stunden täglich Fernsehen. Wenn nur eine Stunde täglich für ein Ehrenamt eingebracht werden würde, könnten wir einiges bewegen. Dieses finde ich bedenkenswert, vor allem bei dem Fernsehprogramm.
Bei welchen Themen müssen Sie aufpassen, nicht einzuschlafen?
Wenn die Diskussion zum Einschlafen animiert, hat der Sitzungsleiter, also der Ratsvorsitzende, die Zügel zu sehr schleifen lassen. Aber im Ernst, manchmal ist es schon anstrengend, wenn eine Wortmeldung erfolgt, obwohl schon alles gesagt wurde. Hier versuche ich einzugreifen ohne dabei einen fruchtbaren Redebeitrag abzuwürgen.
Was war in Ihrem ersten Jahr im Rat der schlimmste Moment?
So richtig schlimm war keiner. Enttäuscht war ich aber schon, dass es nicht gelungen ist, den Haushalt 2012 einstimmig zu verabschieden.
Haben Sie bislang bereut für den Gemeinderat kandidiert zu haben?
Ausdrücklich nein! Die Themenvielfalt in der Ratsarbeit, das Gefühl etwas zu gestalten, die Zusammenarbeit mit anderen, informiert zu sein, all das sind Punkte, die ich nicht missen möchte. Auch hat die Tätigkeit im Gemeinderat und als Ratsvorsitzender Fähigkeiten gestärkt, die ich super in mein Berufsleben einbringen kann. Diskussionen moderieren, Ideen zu einem Konsens zusammenführen, Toleranz gegenüber anderen Ansichten und noch weitere. Gerne möchte ich dazu motivieren, sich Gedanken darüber zu machen, selber einmal Mitglied des Gemeinderates zu werden und sich im positiven Sinne einzumischen.
Was erhoffen Sie sich für die erste Ratssitzung nach der Sommerpause? Und wann und wo wird die sein?
Ich hoffe, dass alle Ratsmitglieder gut erholt und mit frischen Ideen für eine positive Entwicklung unserer Heimat aus der Sommerpause kommen. Besonders hoffe ich, dass alle wieder mit Spaß an die Arbeit gehen und dieses auch hier und da von den Bürgerinnen und Bürgern honoriert wird. Wir sollten nämlich nicht vergessen, dass auch Ratsmitglieder sich ehrenamtlich engagieren und nur das Beste für unsere Gemeinde Kirchlinteln wollen. Die technischen Daten für die nächste Ratssitzung: Montag, 10. September um 19.30 Uhr in Armsen.
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